„Brutale Umgangsform“

Von Redaktion · · 2013/03

Tierschützer Martin Balluch erklärt im Gespräch mit Südwind-Chefredakteurin Irmgard Kirchner, warum Tierschutz ein wichtiges Thema für die gesamte Gesellschaft ist.

Südwind-Magazin: Man hat den Eindruck, dass die Diskussion um Tierrechte in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Martin Balluch:
Auf jeden Fall. Das Thema Veganismus/Vegetarismus boomt total in den letzten drei bis fünf Jahren. Seit 2005 gibt es Tierschutzsprecher und Tierschutzsprecherinnen in jeder Parlamentspartei. Auch wenn es kein wirkliches Wahlprogramm zu Tierschutz gibt, ist es ein wichtiges Thema geworden.

Um welche Tiere geht es?
Tierschutz ist historisch ein reines Haustierthema gewesen. Mit dem ersten Tierschutzgesetz 1846 waren ausschließlich Haustiere gemeint, zu denen damals Pferde gehört haben. Seit den 1980er Jahren geht es auch um den Schutz von Wildtieren, seit den 1990er Jahren auch von Nutztieren. Der Verein gegen Tierfabriken wurde 1992 gegründet mit dem Ziel, den Tierschutzgedanken auch auf Nutztiere anzuwenden. Das gelingt zunehmend.

In welchen Bereichen liegt es mit den Tierrechten am meisten im Argen?
Tierfabriken und Tierversuchslabors würde ich als die größten Probleme im Tierschutz identifizieren. Bei den Hühnern ist unser größtes Problem die Qualzucht auf Massewachstum. Beim Thema Zirkus haben wir große Fortschritte erzielt, weil der Zirkus wirtschaftlich die geringste Macht entfaltet. So gibt es jetzt ein Wildtierhaltungsverbot in Österreich. In Deutschland gibt es noch fast 400 Wildtierzirkusse.

Was muss geschehen, damit Tierschutz verwirklicht wird?
Bei den uns wichtigsten Fragen im Tierschutz haben wir schon große Mehrheiten im Volk hinter uns. Aber es fehlt der politische Wille, weil es eine wirtschaftliche Abhängigkeit gibt. Man kann nicht den Menschen den schwarzen Peter zuschieben. Wenn man in so einem System lebt, ergibt der Systemdruck, dass man diese Produkte kauft. Die Politik behauptet, eine Änderung sei wirtschaftlich unmöglich. Es gäbe zuviel Konkurrenz. In Wirklichkeit gibt es starke Subventionen, die diese Produktionsform fördern. So laufen wir gegen ein System an, das sich wahnsinnig schwer bis gar nicht verändern lässt. Die wirtschaftliche Macht, die gar nicht mehr vom Konsumenten, von der Wählerin oder der Mehrheitsmeinung abhängt, ist unser Hauptproblem. Die Demokratie hat hier ein eindeutiges Defizit.

Werden Tiere immer und überall geschunden?
Es ist schon bemerkbar in der Geschichte, dass Tiere in der Hierarchie immer an der untersten Stelle waren. Die Rücksicht auf sie ist erst möglich, wenn man in allen anderen Bereichen gesichert ist und diesen Freiraum hat.
Aber unser Zeitalter zeichnet sich dadurch aus, dass sich eine eiskalte, industrialisierte, brutale Umgangsform etabliert. Hinter verschlossenen Türen. Wenn die Menschen das sehen, stößt es ihnen wahnsinnig negativ auf. Ich denke, dass Menschen durchaus bereit sind und es auch begrüßen würden, tierfreundlich zu leben, wenn es ihnen das gesellschaftliche System ermöglicht.

Martin Balluch studierte Astronomie, Mathematik und Physik in Wien und Heidelberg. 2005 erhielt er mit einer Arbeit über Tierethik einen zweiten Doktortitel in Philosophie an der Universität Wien. Er ist Obmann des „Vereins gegen Tierfabriken“. 2010 war er – neben zwölf weiteren Personen – im umstrittenen Tierschützerprozess Hauptangeklagter als Chef einer „kriminellen Organisation“ nach § 278a des österreichischen Strafgesetzbuches. Nach 105 Tagen in Untersuchungshaft und 100 Prozesstagen wurde er 2011 in allen Punkten freigesprochen. Seine Erfahrungen hat er in seinem neuesten Buch festgehalten:

Martin Balluch: Tierschützer. STAATSFEIND – In den Fängen von Polizei und Justiz. Promedia, Wien 2011.

Sie sind Naturwissenschaftler und Philosoph. Gibt es wissenschaftliche Argumente für Tierschutz?
Die erste wichtige Frage ist: Haben Tiere ein Bewusstsein, so dass sie Schmerz subjektiv erleben? Mittlerweile hat man dieses subjektive Erleben von Tieren bewiesen. Auf Basis des Wissens, dass diese Tiere ein subjektives Erleben haben, Schmerzen empfinden können, eigene Interessen haben, muss ich in der Ethik die Frage stellen: Berücksichtige ich diese Interessen? Oder überfahre ich sie einfach und sage, sie sind irrelevant. Und dann müsste ich rational argumentieren: Warum ist es irrelevant, was ein Huhn empfindet? Weil es weniger intelligent ist? Wenn ich solche Kriterien einführe, wird es sofort problematisch.

Was haben Tierrechte mit Menschenrechten zu tun?
Ich sehe eine Kontinuität beim Ausgrenzen und Nichternstnehmen von Minderheiteninteressen und dem Nichternstnehmen von tierlichen Interessen. Immer wenn man Menschen, Minderheiten ausgrenzen will, macht man sie zu Tieren und gibt diesen auszugrenzenden Menschen tierliche Eigenschaften.
Es ist nicht unmittelbar evident, dass durch Tierschutzmaßnahmen die Gesellschaft auch automatisch menschenfreundlicher wird. Aber ich glaube schon, dass man grundsätzlich dasselbe Problem bekämpft. Man kann gesellschaftlich viel gewinnen, wenn man Tiere ernst nimmt und in die Gesellschaft integriert.

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